Übersetzung aus dem Russischen: Tamara Golunowa, Moskau, Russland

 

Russkij Kurier #43. 2 März 2004

 

Anatolij Karpow setzt den Amtspersonen des Kulturministeriums matt
und wendet sich nochmals an den Präsidenten Putin

 

Anlass für die Unterhaltung mit dem hervorragenden Schachspieler dem in Russland und in der ganzen Welt bekannten Vertreter des öffentlichen Lebens, wurde leider kein Sportthema. In Dezember 2003 unterschrieb Anatolij Karpow gemeinsam mit einer Reihe Kulturschaffender und Politiker Russlands ein Sendschreiben das an den Präsidenten der Russischen Föderation (RF) Wladimir Putin gerichtet war. Die Autoren des Schreibens lenkten die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf die Situation, die sich bezüglich des Erbes der Familie Roerich in Russland ergeben hat.

Das Kulturministerium hat den Willen Swjatoslaw Roerich, den letzten Vertreters Roerichs zu Gunsten des Staates ausgelegt und nationalisierte gesetzwidrig die Gemäldesammlung, die Swjatoslaw Roerich dem Internationalen Roerichzentrum letztwillig verfügte. Er selbst war der Begründer dieses Zentrums und sein Ehrenpräsident. Bisher ist seitens des Präsidenten der RF keine Antwort auf das Sendschreiben erhalten worden.

Aber … die Antwort gab der Kulturminister RF Michail Schwydkoij. Ob «im Auftrage» des Präsidenten Russlands, oder auf seiner eigenen Initiative, Gott weiß. Aber nichts Wesentliches zu dem entstandenen Problem seitens des Ministers ist den Kulturschaffenden nicht mitgeteilt worden. Mitte Februar erhielt Anatolij Karpow noch eine Antwort das Schreiben – diesmal schon vom Generaldirektor des Staatlichen Kunstmuseums der Völker des Orients – Wladimir Nabatschikow. Letztere «nimmt an» (das sind seine Worte) dass Anatolij Karpow nicht voll über das Problem informiert ist. Deswegen hat der Direktor des Staatlichen Museums für notwendig gehalten den Autor des Briefes über den Stand der Sache zu belehren und aufzuklären.

Dieser Brief wurde Anlass für die Aussprache der Korrespondenten «RK» mit Anatolij Karpow.

 

Ich bezweifle nicht die Informiertheit Wladimir Nabatschikow. Was mich betrifft, so würde ich aber niemals meine Unterschrift unter dem Dokument stellen, ohne den Kern der Sache zu begreifen. Weil ich gewöhnt bin die Verantwortung für alles zu übernehmen.

Was meine «Uninformiertheit» betrifft. Ich war persönlich mit Swjatoslaw Roerich bekannt, wir trafen uns und das ganze Drama der letzten Jahre seines Lebens, insbesondere um den Nachlass verlief vor meinen Augen. Ich wage es zu behaupten: dass das Kulturministerium und das Staatliche Museum für Orientalische Kunst einen Teil des Erbes Roerichs und zwar die Gemäldesammlung ungesetzlich behalten hat. Es ist deutlich und logisch von dem Besitzer in seinem Testament zum Ausdruck gebracht worden, dass der Nachlass der Familie Roerich der gesellschaftlichem Organisation der Sowjetischen Roerichstiftung übergeben werden soll. So hieß das heutige Internationale Roerichzentrum bis zum Zerfall der UdSSR.

Benehmen Sie sich entsprechend diesem klarausgedrückten Willen! Denn alles andere wäre ein böswilliges Vergehen. Es gibt lebendige Augenzeugen bislang, darunter auch, ich Gott sei Dank! In Russland wird einerseits seitens des Präsidenten die Diktatur des Gesetzes proklamiert, andererseits wird seitens der Beamten des Kulturministeriums dieses Gesetzt verletzt.

Nein die Beamten suchen nach verschiedenen Vorwänden, um die Administration des Roerichzentrum, und mich darunter beinah als Betrüger darzustellen.

Ihre Anrede an den Präsidenten Russlands, die die Zeitung «Komsomolskaja prawda» veröffentlicht hat, nannten Sie «Dem Nachlass Roerich droht die Vernichtung». Haben sie die Gefahr nicht übertrieben?

Wir nannten die Dinge bei ihren Namen. Die Sowjetische Friedenstiftung, an deren Spitze ich damals stand, war die Quelle der Entstehung der Sowjetischen Roerichs Fonds (SRF). Unser Fonds hat finanziell und moralisch das Entstehen des öffentlichen Nikolaj-Roerich-Zentralmuseums unterstützt. Dazu gehörten auch die Restaurationsarbeiten in dem Haus der Familie Lopuchin das von dem Exekutive Komitee des Moskauer Stadtsowjets zugewiesen wurde.

Ich komme nochmals zum Anfang dieser rechtlichen Geschichte. Swjatoslaw Roerich hat noch während der Lebzeit dem ihm gehörenden Teil des Familienvermögens auf der Grundlage seines Testamentes dem Sowjetischen Roerich Fonds übergegeben. Aber nachdem die Sowjetunion zerfiel und der Fonds in das Internationale Roerichzentrum umbenannt wurde, bestätigte Swjatoslaw Roerich die Rechte vom Internationalen Roerichzentrum auf das Erbe, welches dem Sowjetischen Roerich Fond übergegeben worden war. In seinem Testament werden auch 288 Gemälde aufgeführt, die im Moment, ich unterstreiche, in der provisorischen Aufbewahrung bei Kulturministerium im Staatlichen Museum des Orients sich befanden.

1992 im Brief an den Präsidenten Russlands Boris Elzin (wiederum habe ich der Übergabe des Briefes beigetragen) bat Swjatoslaw Roerich die Gemäldesammlung dem Internationalen Nikolaj-Roerich-Zentralmuseum (INRZ), zurückzugeben.

Na und?

Es wird schon 12 Jahre lang zurückgekehrt.

Warum wird die letzte Verfügung des großen Menschen immer noch nicht erfüllt?

Man muss unsere einheimische Bürokratie wissen mit ihrer Gewohnheit alles unter sich zusammenzuraffen. In diesem Sinne dem Nachlass Roerich droht tatsächlich die Vernichtung. Weil unerfüllter Wille ist eben die Vernichtung des Willens des Menschen.

Auf Verfugung des Chamowniki-Bezirks-Gerichts Moskaus ist der Eintritt des Erbfalls des Internationalen Roerichzentrum gesetzlich anerkannt.

Erstaunlich, aber Herr Nabatschikow in seinem Brief an mich nennt die Gerichtsentscheidung inspiriert.

Von wem?

Es ist anzunehmen vom Internationalen Roerichzentrum. Wenn es keine rechtliche Argumentation gibt, beginnen Verdächtigungen und inhaltslose Beschuldigungen. Ich kenne den Generaldirektor Nikolaj-Roerich-Zentralmuseums Ludmila Schaposchnikowa. Swjatoslaw Roerich hat sie zum Vollziehen seines Testamentes ernannt. Es ist eine Sache der Unmöglichkeit sich vorzustellen, dass Sie etwas im Gericht inspirieren könnte. Solche Beschuldigungen entstehen, wenn es keine eigenen überzeugenden Beweisgründe gibt. Und da gibt es keine administrative INRZ Ressource zum Unterschied vom Kulturministerium, um die Gerichsbeschlusse zu inspirieren. INRZ hat aber die Hauptressource, - die das Kulturministerium nicht besitzt - den Willen Swjatoslaw Roerich, seine letztwillige Bestimmung – sein Vermögen in INRZ Besitz überzugeben.

Ich war äußerst überrascht von einem Brieffragment des Herrn Nabatschikow, wo er aufrichtig darüber staunt, wie eine öffentliche, gesellschaftliche Organisation wagt mit den Staatseinrichtungen in den Rechtsbereichen Vermögensbesitzenden und Besitzlosen «wetteifern» mag, so ein Wort hat er dazu gefunden. Der Sinn der Passage vom Herrn Nabatschikow: da läuft um die Beine ein «Mops» herum, stört im Wege einem wichtigen staatlichen «Elefanten» … Vergesslich ist Herr Nabatschikow! Die zivilisierte Menschheit hat eben deswegen eine Institution des gesellschaftlichen Besitztum und der Kontrolle des Privatvermögens der hervorragenden Persönlichkeiten, Bürger der Welt ausgearbeitet, um zu vermeiden … Übrigens, der Leser selbst entscheidet, was dabei gemeint ist.

Nichtsdestoweniger vermag das Kulturministerium im Präsidium des Moskauer Stadtgerichtes den Beschluss des Bezirks-Gerichtes aufzuheben, welcher INRZ als Erbennachfolge Swjatoslaw Roerichs anerkannt hat. Wobei betrachtete das Gericht das Gesuch des Kulturministeriums als den Vertreter des Besitzers der Gemäldesammlung. Wie konnte das vorkommen?

Unsere Beamten lernten in den Jahren der Reformen sehr gut Staatseigentum zu privatisieren und Privateigentum zu nationalisieren, ohne dabei Einhalt zu gebieten vor keinen ethischen Normen. Was ist doch geschehen in unserem Fall? Am 30. Januar 1993 verschied Swjatoslaw Roerich.

Und kaum noch die Trauerzeremonien abgeklungen waren, aber der Direktor des Museums des Orients Herr Nabatschikow, ohne das Ablaufen der nach russischen Gesetzgebung 6 (sechs) festgelegten Monate nach dem Ableben des Vermögensbesitzers, verabschiedet eine Verordnung, laut der er die Gemälde aus der provisorischen Aufbewahrung auf die ständige Verwahrung überführt – ohne keine einzige Bescheinigung in den Händen zu haben, der das Recht des Museums auf die Sammlung bestätigen würde! Solch eine juristische Unwissenheit seitens eines staatlichen Angestellten ist es sehr schwer sich vorzustellen.

Und 6 (sechs) Jahre später, in 1999 bestätigt der Kulturminister Wladimir Egorow, – mein guter Kamerad und ein warmherziger Mensch, nebenbei gesagt, – durch seinen Befehl die Gesetzlichkeit der gesetzwidrigen Verordnung des Museumsdirektors. Ich bin überzeugt wenn Wladimir Egorow im Ministerrang noch verblieb, würde ich gewichtige Beweisgründe finden, um ihn in der Fehlerhaftigkeit im Roerich «Fall» zu überzeugen.

Was hatten diese Befehle zu bedeuten?

In der Tat, ja, die Nationalisierung des Nachlasses. Und das Präsidium des Moskauer Stadtgerichtes hat den Staat für den Besitzer der Gemälde anerkannt. Eben das, angeblich, wurde zur Unsache der Rückgängigmachung des Beschlusses des Chamowniki-Bezirks-Gerichts und zur Ursache der Überführung des Gerichtsfalls zur neuen Ermittlung. Undenkbar. Aber Swjatoslaw Roerich hat noch zu seiner Lebzeit die Bedingung gestellt: die Gemäldesammlung darf nicht den Beamten vom Staat gehören. Er hat sie ausschließlich nur dem Museum namens seines Vaters Nikolaj Roerich übergegeben, dem Museum, dass er auch selbst gegründet hat: keinem Kulturministerium, keinem Museum des Orients. Vielleicht wird der Vergleich unkorrekt scheinen, aber er kommt unwillkürlich von sich selbst. Anfang 40er Jahre wurden die Kunstwerke aus besetzten Territorien von Deutschen ausgeführt. Die Kulturnation hat sich wie mittelalterliche Barbaren benommen. Nach dem Zerfall der UdSSR empfunden sich viele ehemalige Staatsangestellten als solche Barbaren - Triumphatoren.

Hat aber als provisorischer Beschützer, Patron der Gemäldesammlung das Kulturministerium nicht die Rechte für Nachlass? Denn all diese Jahre hat das Museum des Orients Gemälde aufbewahrt, Ausstellungen der Gemälde von Roerich innerhalb des Landes veranstaltet und bestimmte Kosten dafür getragen?

Wenn ein Freund an Sie mit der Bitte wendet irgendeine Sache aufzubewahren, die nebenbei für ihn sehr wertvoll ist, und dabei verbietet er ihren Gästen nicht sie zu demonstrieren, haben sie doch kein Recht sich dabei für ihren Besitzer zu halten. Sie wissen, dass er sie für provisorische Aufbewahrung Ihnen anvertraut hat, und dass, wenn er zurückkommt, werden sie ihm es zurückgeben. Das wird entschieden auf dem Niveau der persönlichen Vereinbarungen, auf dem Niveau der menschlichen Anständigkeit.

Und im Falle mit der Roerichssammlung gab es nicht nur mündliche, sondern dokumentarisch bestätigte Vereinbarungen, es bestand der klar und deutlich ausgedrückte Wille, im Testament verbrieft. Es gibt noch eine rechtliche Seite des Problems. Das Kulturministerium versucht gegenwärtig sich damit zu rechtfertigen, dass INRZ angeblich kein Rechtsnachfolger von SRF ist, dem Swjatoslaw Roerich das Erbrecht übergegeben hat. Aber das Kulturministerium und diejenige Ämter, die «den Mythos der Nichtrechtsnachfolge» ausgespielt haben, vergessen bewusst, dass die Umbenennung SFR in INRZ ging in Erfüllung nicht nur zu den Lebzeiten Swjatoslaw Roerich, aber eben nach seinem Beschluss. Noch mehr, Swjatoslaw Roerich, nachdem er erfuhr, dass das Kulturministerium mit der Unterstützung des Justizministeriums diese Kampagne für Anerkennung der «Nichtrechtsnachfolge» eingeleitet hat, schrieb er den Brief an den Präsidenten Boris Elzin mit der Bitte ihm Hilfe zu leisten um die Gemälde aus dem Museum des Orients nach INRZ zurückzugeben und er bestätigte die Rechte von INRZ beim Notar auf den in CFR übergegebenen Nachlass. So dass die Vertreter des Kulturministeriums unaufrichtig sind, gelinde gesagt.

Der Direktor des Museums des Orients nimmt Bezug auf die Ergebnisse der Prüfung des Rechtshofs die keine Verletzungen in der staatlichen Inventur der Gemälde, gefunden hat.  Die Gemälde wurden in das Schenkungsbuch eingetragen. Folglich alles ist legitim, rechtsmäßig, nach der vorgeschriebenen Form.

Nach welch einem Gesetz? In welcher und von wem festgelegten Ordnung? Und was für ein Schenkungsbuch? Und woher kommt es? Und wie konnten ins Schenkungsbuch Gemälde geraten, wenn Roerich sie dem Museum des Orients nicht geschenkt hat? Hier bleibt jede Frage ohne Antwort. Der Rechnungshof fing nicht an aus irgendeinen Gründen sich mit den Fragen zu befassen die von INRZ gestellt worden waren. Denn, wir baten die Unversehrtheit der Gemälde zu prüfen, und hauptsachlich ihre Übereinstimmung mit dem Testament von Swjatoslaw Roerich zu bestätigen.

Vor kurzem wurde eine Pressekonferenz von den leitenden Persönlichkeiten INRZ für die Journalisten durchgeführt, auf der die ganze langjährige Geschichte  des Ringens um die Erbschaft ausführlich dargelegt wurde. Als Antwort gaben die Leiter des Kulturministeriums eine Erklärung: die Gemälde werden zurückgegeben erst dann als Gericht seine Entscheidung trifft welches die Rechte INRZ auf das Erbe von Roerich anerkennt. Aber die Gerichte sind gegen uns. So entsteht ein abgeschlossener Kreis.

Ich denke, dass die Rechtsressource noch nicht völlig erschöpft ist. Wir werden danach streben, dass das Gesetz und das Recht trotzdem siegen.

Mich, als Leiter des Kuratoriums beunruhigt in dieser Situation eine seltsame Tendenz, die sich in der Tätigkeit des Kulturministeriums sichtbar gemacht hat. Der Staat verlautbart jetzt in der Gestalt des Kulturministers Michail Schwydkoij nicht nur die Weigerung die Gemälde zurückzugeben. Er erhebt den Anspruch auf das Gebäude der INRZ! Das heißt, die Attacke geht in allen Richtungen. Der Kulturminister predigt liberale Werte durch Fernsehen. In der Tat benimmt er sich wie ein typischer Vertreter der Interessen der Beamtenschaft.

Vor einem Jahr während des Jubiläums von Sankt-Petersburg «stoßen» wir uns mit Michail Schwydkoij «zusammen». Ich lud ihn zum «Business-Freistück» ein, um eine Reihe der Fragen zu besprechen, die mich als Staatsbürger und eigentlich als Weltmeister des Schachspiels. Michail Schwydkoij befasste sich doch ziemlich ernsthaft mit dem Schachspiel früher. Michail Schwydkoij hat Initiative in seine Ministerhände übernommen und hat schon in seinem Namen mich zum Frühstück eingeladen.

Und was hat es in der Menü «Frühstück, auf Ministerart» gegeben?

Bis zum heutigen Tag ist es mir unbekannt! Das, was in Russland um den Roerichs Nachlass geschieht ist es besonders traurig, wenn man Vergleiche damit zieht, wie sich zum Andenken an unsere großen Landsleute in Indien verhält. Schon jetzt finden dort  die Feierlichkeitten statt, die dem 100-jahrigen Jubiläum Swjatoslaw Roerich gewidmet sind. Neue Ausstellungen werden eröffnet, das Familiengut wird restauriert. Und das russische Kulturministerium versucht endgültig den Willen des Schenkers zu schmähen. Eben deswegen steht es im Brief an dem Präsidenten geschrieben «Dem Nachlass Roerich droht die Gefahr». Das ist keine Übertreibung.

Ich wende mich persönlich, wiederholt an den Präsidenten Russlands. Warum denn die Beamten, die Ihnen untergeordnet sind, spotten das Gesetz aus? Vermeiden Sie, bitte, nicht die Antwort! Der Nachlass Roerichs ist in Gefahr! Die Situation verlangt Ihre Einmischung.

Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben die Antwort des Präsidenten zu erhalten.

Das ist noch kein Endspiel!

 

Konstantin Belitschko und Lew Pjatigorskij haben die Unterhaltung geführt,

 

Veröffentlichung in der Zeitung «Russkij Kurier» ¹ 43. 2 März 2004

 

 


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