Nikolai K. Roerich

 

G O E T H E

 

„Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,

Die Sonne könnt’es nie erblicken“.

 

„Alles könne man verlieren,

Wenn bleibe was man ist“.

 

Das Sonnenhafte, die Macht der Persönlichkeit – diese Banner der Bedeutsamkeit Goethes wurden von ihm selbst genannt. Und wiederum wird die bestürzte Menchheit richtzeitig an die unbesiegbare Erscheinung erinnert, worin sich das Wesentliche der Zeit verkörpert. Man braucht keine Epitheta zu Worten „die Zeit Goethes“ oder, richtiger gesagt, „die Epoche Goethes“ hinzuzufügen. Goethes Name ist zum Ehrenwappen nicht nur für das Schaffen, Gedankenvollkommenheit Erkenntnistife, für Erkenntnismut und Edelmut von Gefühlen geworden – dieser Name hat wirklich die ganze Epoche von mächtigen Geistesoffenbarungen in sich aufgenommen. Goethes Stil ist nicht der Stil eines Dichters, nicht der Stil einer Staatsmacht, sondern der Stil einer Epoche. Keine Modewellen, keine Umdeutungen, keine neuen Errungenschaften – nichts beführt die Giganten, die Schöpfer, die Ideenträger der Epoche, wie Homer, Shakespeare, Dante, Cervantes, Goethe... Man darf nicht behaupten, daß sie wie einsame Gipfel emporragen, denn sie akkumulieren in sich dem Geist der Zeit! Sie sind zu Überpersönlichkeiten geworden, denn sie verkörpern die edelsten Ideen der Epoche. Graf A.K.Tolstoj wendet sich mit Gefühlwärme an einen an einem Maler und gedenkt dabei der Namen von Homer, Phidias, Beethven, Goethe, indem er sagt:

 

„Nein, nicht Goethe hat den großen Faust geschaffen,

Der im altgermanischen Gewand,

Doch durch die großt Universumwahrheit

Wort für Wort mit der vorewigen Gestalt übereinstimmt.

Oder Beethoven als er seinen Trauermarsch komponierte,

Hätte er seiner Seele diese herzzerreisende Akkorde entnommen?

Nein, diese Töne schluchten ewig im grenzenlosen Weltraum.

Er aber, der für die Erdenmenschen taub war, konnte überirdische Sluchzen abhören.

Sei auch blind wie Homer und taub wie Beethoven,

Du sollst dein geistiges Ohr und dein geistiges Auge anstrengen.

Und wenn über der Flamme der geheimen Schrift undeutliche Zeilen plötylich erscheinen,

So erscheinen vor dir plötzlich die Bilder.

Immer deutlicher wird die Färbung, immer greller die Farben.

Sinnliche Worte verflechten sich zu klaren Bedeutengen.

Du, in diesem Moment halte dein Atem, sei ganz Auge und Ohr,

Und später, beim Schaffen, gedenke der flüchtigen Erscheinung“.

 

Mit diesen Worten wollte der Dichter das überirdische und übermenschliche Wesen der Werke Goethes zeigen. Vor Goethes Augen offenbarten sich die großen Zeilen vieler Geheimschriften. Man sagt, Goethe hätte philosophischen Geheimnereinen angehört. Das ist nicht wichtig. Es gibt nicht wenig Vereinmitglieder und allerlei Dignitarien in alerlei Vereinen. Die Flamme des Geistes, das Feuer des Herzens, der Große Agni haben nicht durch Vernunft, sondern Gefühlerkenntnis zu den Gipfeln des Geheimen geführt. Eine Synthese kann man durch keine Vereine bekommen. Bemerkenswert ist zu beobachten, wie Goethe, ein wahrer Bote der Wahrheit, sich vom Leben nict abwendet, sondern für jede Lebensblume ein Lächeln findet. Eine Beschränktheit ist dem allumfassenden Geist nicht eigen.

Goethes Denkweise kann man mit Recht als räumlich bezeichnen. Darin behaupten sich eine Persönlichkeit und zugleich auch die Befreiung vom Egoismus. Agni-Yoga! Solch eine Vereinigung, ist für kleines Bewußtsein nicht einmal vorstellbar, aber das ist ein richtiges Maß für das Potential einer Persönlichkeit. Ob Goethe die Leren des Orients kannte? Wahrscheinlich kannte er sie, denn der Romantismus kann ohne Orient nicht leben. Wir haben keine Beweise, wie wert Goethe im Studium der Schätze des Ortents gewesen war. Er behauptete nicht darauf, aber es ist klar, daß sein allumfassender Geist ihm auch dieses bedeutende Tor leicht aufgemacht hatte.

Man sagt, Goethe sei Eingeweite. Wenn er kein Eingeweiter wäre, so könnte er mit flammenden Formen die heiligsten Steine nicht berühren, ohne die Hände zu verbrennen.

Wenn er in die Gesetze der Grundlehren kein Eiengeweihter wäre, so könnte er furchtlos alle Abgründe nicht passieren, die von Rückständigen und Verirrten voll sind. Wenn er kein Eingeweihter wäre, so könnte er nicht als Suchtnder, als Träger der Erkenntnisschätze von weiten Welten seinen Weg nicht durchmachen.

Bei dem geheimniskundigen E.T.A. Hoffmann sehen wir, daß Geheimrat Archiwarus sich als Feuergeist erwiesen hat.

Ja, es ist wahr, Goethe war ein Geheimrat, aber nicht in königlichen Diensten, sondern in Diensten der ganzen Mänschlichheit- Er trug diesen Titel mit Leichtigkeiet eines Giganten, der einem Felsenstück zulächelt, wenn es ihm auf die Brust fällt. Es ist ein Wunder, mit welcher Lecichtigkeit die größten Persönlichkeiten ihre unverschüttete Lebensschahle durch das ganze Leben tragen. Was einem viele Runzeln, Verzerrungen und Stoßseufzer würde, würde für einen Giganten einfach noch eine Univermeidbarkeit bedeuten, der er fröhlich entgegensieht, um vorwärts zu eilen. Goethe gesteht selbst: „Mein Vorwärtsstreben ist so unaufhaltsam, daß ich selten Atem holen und zurückblicken könnte“. Dieses mächtigen Tragen der Lebensschale erinnert uns an die Christophorlegenden über den Lebensstrom. Man muß besonders sonnenhaft Goethes Gedenken feiern.

Wie alle nicht standardmäßigen Persönlichkeiten bleibt Goethe für die einen ein Würdenträger, für die anderen – unverbesserlicher Revolutionär. Für die einen – eine Stabilität, für die anderen – eine Erschütterung. Es gibt eine Unmenge von mannigfaltigen Kommentaren, Deutengen über Goethe. Die Mannigfaltigkeit von allem, was man Goethe zuschreibt und was man von ihm verlangt, zeigt vom Ausmaßt seines Schaffens.

Natürlich, solch eine Vernunft könnte nicht einförmig sein.

Goethe verkörpert die Kulmination der Zeit Schillers, Herders, Bürgers, Winkelmanns, Kants, Lessings. Es ist eine große Zeit, und Frankfurt am Main ist ein guter Ort! Leipzig, Straßburg, Wetzlar, Weimar – alles ist bedeutsamen Treffen durchdrungen. Literatur, Kunst, Wissenschaft, Gesetzkunde, staatliche Werke – der ganze Lebenskomplex – alles trägt nur Erkenntnistiefe Goethes bei, ohne seine mächtigen, schöpferischen Kräfte zu belästigen. Er findet Zeit für alles, er hat ein Lächeln für alles.

Die Jahre in Italien. Die Freundschaft mit Schiller, dem gleichgroßen Geist: durch Gegensätze und gegenseitliche Ergänzungen wird ein unzerreißbares Band geschmiedet. Und endlich schreibt die Hand des achtzigjährigen Goethes die letzten Strophen des Faust als eine Synthese des Lebens. Das ist die Meinung Goethes. Er sagt Eckermann, der letzte Lebensabschnitt sei für ihn eine Gabe. Und im nächsten Jahr  begibt sich Goethe ins Jenseits.

Der Weltgeist Goethes und natürlich die Welteinheit sind seine Grundlage. Das Schaffen und die Kritik offenbaren sich in den Werken Goethes durch eine einartige Vereinung „Beschluss in allumfassende. Im Wohl, in Schönem zu leben“.

Goethes Einfluss lässt sich in Roman von Scott „Ivanhoe“ spüren. „Die Braut von Korinth“, „Der Erlkönig“, „Gott und Bajadere“. „Tasso“, „Egmont“, „Iphigenie“ begeisterten die besten Köpfe zu Übersetzungen, Vertonungen und musikalischen Äußerungen.

Und „Wilhelm Meister“ bleibt unvergesslich als Vorbild von Kultur und Bildung, für viele als Lebenslehre.

Ohne Didaktik und trockene Moralität erteilte Goethe die Lebenslehre durch die begeisterten Gestalten des rührenden Romantismus und vereinigte sie im Symbol „Die Leiden des jungen Werthers“.

Die Weltanschauung Goethes ist einmalig, denn sie ist auf seinem eigenen unwiederholbaren Rhythmus einer inhaltsvollen, unermüdlichen Tat gegründet.

Goethes Einfluss ist groß nicht nur in allen germanischen, sondern auch in angelsächsischen Ländern, auch in der slawischen Welt, in Amerika. „Nur rastlos betätigt sich der Mann“. Er kannte keine Ruhe, indem er, wie Voltaire, die Arbeit seiner Nervenzentren tauschte. Seine „reine Menschlichkeit“ war der Unsterblichkeit nicht fremd, ebenso wie das „ewig Weibliche“ schwebte immer in den reinen Sphären des Entzückens vor der Schönheit. Das hundertjährige Jubiläum Goethes muss zum Fest werden für jede erweiterte Vernunft. Es muss ein nahres Sonnenfest werden! Goethe steht Apollo nah. Er steht dem Licht der Antike nah. Seine Tonart ist in Dur. Eine schöne Ausstattung, eine schöne Prachtausgabe, in einem schönen ledernen Einband mit verzierten Initialen. Ein Volksfest, ohne Banalitäten, wo man den edlen Meistersänger krönt. So stelle ich mir das Jubiläum des ruhmreichen Goethe vor der uns allen nah ist. „Der Erlkönig“ und „Die Braut von Korinth“ dienten als Themen für meine ersten Skizzen, und natürlich Faust wurde in unserem Kindertheater aufgeführt.

Goethe. Wir erinnern uns an unseren Schultisch. Die Schulausgaben von Götz und Werther; wir erinnern uns an jene schönen Gedanken, die Goethes Balladen bei uns weckten. Von keiner davon haben wir uns später losgesagt, nie haben wir uns Namens Goethe geschämt. Ein begeisterter Schüler konnte nicht fassen: warum heißt er Wolfgang, warum nicht Leo, denn der Schöpfer des „Faust“ hat einen Löwenschritt.

Nicht streiten über Goethe, sondern freuen sich über ihn, muss man mit besten Erinnerungen befestigt. Dem Freund unserer geistigen Erkenntnis gebührt ein Sonnenfest.

Etwas Feierliches, Herzliches und Harmonisches  muss diese Feier Goethe zu Ehren begleiten. Er ist im Garten des Lebens. Und erblühten die Lilien Madonnas; dort versammeln sich aufmerksamen, Zuhörer. Und vom schönen und weisen Altertum Salomo’s, vom „Hohen Lied“ verbreitet sich  der Wohlgeruch in diesem Blumengarten des Lebens.

„Wohin geht dein Geliebter, die Schönste der Frauen? Wohin wendet sich dein Geliebter? Wir suchen ihn zusammen mit dir. Mein Geliebter ging in seinen Garten, in die duftenden Blumenbeeten, um dort sich niederzulassen und Lilien zu pflücken“.

 

Urusvati. 1931.

 

 


© Der internationale Rat der Roerich-OrganisationenAlle Rechte sind geschützt. http://www.roerichs.com/Lng/de